Predigt über die Strafgerichte Gottes
vom Kirchenlehrer Alphons Maria von Liguori
Gottes Barmherzigkeit hat ihre Grenze, ist dieselbe erreicht, so erfolgt die Strafe.
Deinem Volke bist du gnädig, o Herr, bist gnädig dem Volke, bist du nicht herrlich? Is. 26,15.
Herr, Du hast uns schon so oft vergeben, Du hast uns so oft mit dem Tode gedroht, Du hast rings um uns her durch Erdbeben, Seuchen, Krankheiten und Todesfälle Deine Zuchtrute gezeigt, dann aber wieder Mitleid gehabt: Deinem Volke bist du gnädig, o Herr, bist gnädig dem Volke, bist du nicht herrlich? Du hast verziehen, Du hast Barmherzigkeit geübt, aber auf welche Weise haben wir Dir vergolten? haben wir etwa aufgehört zu sündigen? Haben wir unser Leben geändert? Nein, wir haben es nur noch schlimmer gemacht, als zuvor; sobald unsere wenige Furcht vorüber war, so kehrten wir wieder zu den alten Sünden zurück und reizten Dich von Neuem zum Zorne. Aber, o Sünder, was meinet ihr denn? Wird etwa Gott immer zuwarten, wird Er immer verzeihen und niemals strafen? Nein, Gott ist barmherzig, aber Seine Barmherzigkeit erreicht ihre Grenze, und alsdann tritt die Gerechtigkeit ein und die Strafe; dies wollen wir jetzt betrachten.
Wir müssen uns vor Allem davon überzeugen, daß Gott die Sünde hassen muß. Gott ist die Heiligkeit Selbst, und deshalb muß Er dieses feindliche Ungeheuer hassen, dessen Bosheit der Heiligkeit Gottes durchaus entgegen ist. Und wenn Gott die Sünde haßt, so muß Er auch notwendig den Sünder hassen, der mit der Sünde einen Bund eingeht: Der Gottlose und sein gottloses Wesen sind Gott gleich verhaßt. Weish. 14,9.
Ach mein Gott, mit welchem Ausdruck des Schmerzes, beklagst Du Dich über diejenigen, Welche Dich verachten, um sich mit Deinen Feinden zu vereinigen: Höret ihr Himmel, und nimm es zu Ohren, Erde, denn der Herr redet: Söhne habe ich auferzogen und emporgebracht, aber sie haben mich verachtet. Is. 1,2. So beklagt sich Gott vor Himmel und Erde über die Undankbarkeit der Menschen, die Er wie Seine Kinder auferzogen, und die Ihm Seine vielen Wohltaten und Beleidigungen und Verachtungen vergolten haben: Es kennt der Ochs seinen Eigentümer und der Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber kennt mich nicht: sie sind rücklings abgewichen. Is. 1,3.4. Selbst die unvernünftigen Tiere, die Ochsen und Esel, kennen ihren Herrn und sind dankbar, und meine Kinder, klagt der Herr, wollen mich nicht kennen und haben sich von mir abgewendet. Selbst die Tiere, sagt Seneca, erkennen die Wohltaten, die man ihnen erweiset, und sind dankbar gegen ihre Wohltäter; man sehe nur einen Hund, wie er seinem Herrn, der ihn ernährt, so getreu dient, und wie er ihm alsogleich gehorcht. Selbst die wilden Tiere, selbst Tiger und Löwen bezeigen sich gegen diejenigen dankbar, die sie füttern. Aber, o mein Christ, Gott hat dich bis heute mit Allem versehen, was du bedarfst; Er hat dich genähret und gekleidet; ja, Er hat sogar damals, als du Ihn beleidiget hast, dein Leben erhalten. Und was hast du dagegen getan? Was willst du in Zukunft tun? Willst du fernerhin auf diese Weise fortleben? Glaubst du etwa, daß es für dich keine Strafe, keine Hölle gebe? Wisse und bedenke es, o mein Christ, daß Gott, gleichwie Er die Sünde hassen muß, weil Er heilig ist, auch den verstockten Sünder hassen müsse, weil Er gerecht ist.
Wenn uns aber Gott straft, so straft Er nicht, weil Er Sein Wohlgefallen daran hat, sondern weil wir Ihn zur Strafe zwingen. Der weise Mann sagt, Gott habe die Hölle nicht geschaffen, weil Er Seine Lust daran habe, die Menschen darin zu bestrafen, oder weil Er Sich an ihrer Verdammnis erfreue, denn Gott will nicht, daß etwas von dem, was Er geschaffen, zu Grunde gehe: Gott hat den Tod nicht gemacht, und am Untergange der Lebenden freuet Er sich nicht; Er schuf ja Alles zum Segen. Weish. 1,14. Kein Gärtner pflanzt einen Baum, um ihn abzuschneiden und ins Feuer zu werfen; auf gleiche Weise will Gott, der uns erschaffen hat, uns weder elend noch gequält sehen. Deshalb sagte denn auch ein heil. Johannes Chrysostomus, daß Gott lange Zeit auf die Sünder warte, ehe Er an ihnen, um ihrer Missetaten Willen, Rache nehme. Er wartet zu, damit sie in sich gehen mögen und Er ihnen Barmherzigkeit erweisen könne: Darum wartet noch der Herr, sich euer zu erbarmen. Is. 30,17. Unser Gott, sagt derselbe Heilige, ist schnell bereit, uns zu erretten, aber langsam, uns zu verdammen. Wenn es sich um Verzeihung handelt, so verzeiht Gott in demselben Augenblicke, da Er die Reue des Sünders erblickt. Kaum sprach der König David: Ich habe gesündigt, als ihm auch schon der Prophet Nathan verkündigte, er habe Verzeihung gefunden: Der Herr hat auch deine Sünde hinweggenommen. 2.Kön. 12,13. Ach möchten wir doch nur so innig verlangen, Verzeihung bei Gott zu finden, wie der Herr es wünscht, uns zu verzeihen! Wenn es darauf ankommt, zu strafen, so wartet Gott zu, so ermahnt Er, so schickt Er zuvor eine Ankündigung nach der andern: Gott der Herr tut nichts, Er offenbare denn sein Geheimnis. Amos 3,7. Wenn Gott aber sieht, daß weder Seine Wohltaten, noch Seine Ermahnungen, noch Seine Drohungen uns vermögen, Buße zu tun, o alsdann zwingen wir selbst Ihn, daß Er uns strafe, und indem Er uns straft, wird Er uns alsdann zugleich die große Barmherzigkeit erkennen lassen, die Er uns zuvor erwiesen hat: Du meintest böslich, ich sei dir gleich, aber ich tadle dich und stell´ dirs unter deine Augen. Ps. 49,21. Dann wird Gott zum Sünder sagen: Undankbarer! Glaubtest du etwa, ich hätte auch gleichwie du der Beleidigungen vergessen, die du mir zugefügt und der Gnaden, die ich dir erwiesen habe. Der heil. Augustin sagt, Gott, anstatt uns zu hassen, liebet uns, nur unsere Sünden allein hasset Er. Und der heil. Hieronymus fügt hinzu: Gott zürnt nicht, über die Menschen, sondern über ihre Sünden. Der Heilige sagt auch noch, der Herr sei Seiner Natur nach geneigt, uns Gutes zu tun; aber wir selbst seien es, die Ihn zwingen, uns zu züchtigen, und grausam zu erscheinen, was Er durchaus nicht ist. Dasselbe wollte der König David zu erkennen geben, da er sagte, daß Gott, wenn Er züchtigt, einem Manne gleiche, der, vom Weine trunken, seine Feinde schlägt: Der Herr erwachte wie ein Schlafender: wie ein Held, trunken vom Weine; und er schlug seine Feinde von hinten. Ps. 77,65. Theodoret macht hierzu eine Bemerkung: Gleichwie die Trunkenheit der Natur des Menschen fremd ist, so ist es auch Gott fremd zu strafen; wir sind es, die Ihn zwingen, gegen uns zu zürnen, was sonst Seiner Natur durchaus zuwider ist. Du sammelst dir, sagt der heil. Hieronymus, einen Zorn, den Gott Seiner Natur gemäß nicht besitzt.
Der heil. Johannes Chrysostomus stellt über die Worte, welche Jesus Christus beim jüngsten Gericht zu den Verworfenen sprechen wird: Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welche dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist Matth. 25,41, folgende Betrachtung an: Wer hat dieses Feuer den Sündern bereitet? Etwa Gott? Nein, denn Gott hat die Seelen nicht für die Hölle geschaffen (wie dies Luther behauptete), sondern dieses Feuer bereiten sich die Sünder selbst durch die Sünden, welche sie begehen. Wer Sünden säet, erntet Strafe: Wer Ungerechtigkeit säet, wird Unglück ernten. Sprichw. 22,8. Wenn eine Seele in die Sünde einwilligt, so verpflichtet sie sich freiwillig, die Strafe zu zahlen, und verurteilt sich selber zur Hölle. Sie sprechen: Wir haben einen Bund mit dem Tode geschlossen, und einen Vertrag mit der Hölle gemacht. Is. 28,15. Mit Recht sagt daher der heil. Ambrosius, daß Gott Niemanden verurteilt, sondern daß ein Jeder selbst der Urheber seiner Strafe sei. Ja, der heil. Geist selbst lehrt uns, daß der Sünder von demselben Hasse verzehrt wird, den er gegen sich selbst getragen hat: Die Rutes seines Zornes wird ihn vernichten. Sprichw. 22,8. Mit Recht sagt also Salvianus: Niemand kann einen grausamern Feind haben, als jenen, welchen der Mensch, der Gott beleidigt, an sich selbst findet, denn er selbst bereitet sich die Strafe, welche ihn quält. Gott will nicht, daß wir gequält werden, aber wir selbst ziehen die Strafen über uns herab, und entzünden durch unsere Sünden jene Flamme, die uns verzehren wird. Gott also züchtiget uns deshalb, weil wir Ihn dazu zwingen.
Aber du wendest mir vielleicht ein: die Barmherzigkeit Gottes ist groß; ich mag darum auch noch so viel gesündigt haben, Gott wird dennoch mit mir Mitleid haben, wenn ich nur meine Sünden bereue, und entschlossen bin, mein Leben zu ändern. Ach, sprich doch nicht also, mein Christ, ruft der Herr dir zu: Sprich nicht: Die Barmherzigkeit des Herrn ist groß, er wird die Menge meiner Sünden vergeben. Eccl. 5,6. Aber warum sollen wir nicht also reden? Deshalb, weil die Barmherzigkeit und der Zorn einander nahe sind. Gott hat allerdings Geduld, Gott wartet auch auf einige Seiner Feinde, aber Er wartet nur auf Einige, denn der Herr erwartet ebenfalls andere Sünder nicht. Ach, wie Viele hat Er nicht sogleich, wie sie die Sünde begangen haben, in die Hölle gestürzt? Einige dagegen erwartet Gott, aber Er erwartet sie nicht immer, sondern nur bis zu einer gewissen Zeit: Der Herr wartet langmütig zu, um für alle Sünden dann zu strafen, wenn der Tag des Gerichtes gekommen ist. Mach. 6,14. Wenn also der Tag des Gerichtes, wenn der Tag der Rache kommt, wenn das Maß der Sünden voll und die Zeit der Nachsicht vorüber ist, dann zeigt der Herr nicht mehr Seine Barmherzigkeit, alsdann straft Er ohne Schonung. Die Stadt Jericho fiel nicht ein, als man zum ersten Male mit der Arche um dieselbe herumzog; auch nicht beim fünften und sechsten, sondern erst beim siebenden Umzuge. (Jos. 6,20). Und so wird es auch dir ergehen, o Christ, sagt der hl. Augustin. Es wird der siebende Umzug mit der Arche kommen, und die Stadt der Eitelkeit wird zusammenstürzen. Gott hat dir die erste, die zehnte, die siebzigste, ja vielleicht die tausendste Sünde vergeben; Er hat dich so oft gerufen und ruft dich jetzt abermals; fürchte, es möchte dies der letzte Umzug der Arche, der letzte Ruf der Gnade sein; fürchte, daß, wenn du jetzt dein Leben nicht änderst, es um dich geschehen sein möchte. Das Land, sagt der hl. Paulus, welches den oft darauf fallenden Regen einsaugt, wenn es Dornen und Disteln trägt, ist verwerflich und dem Fluche nahe; sein Ende ist Verbrennung. Hebr. 6,7. Der Apostel will hiermit sagen: Eine Seele, die oft das Wasser der Erleuchtung und der göttlichen Gnade empfangen, aber die, statt der Früchte nur Dornen der Sünden hervorgebracht hat, ist dem Fluche nahe und wird kein anderes Ende nehmen, als daß sie die ganze Ewigkeit in der Hölle brennen wird. Kurz, wenn das Ende kommt, züchtiget Gott.
Und wenn Gott züchtigen will, so wissen wir auch, daß Er züchtigen kann und zu züchtigen weiß. Die Tochter Zion steht verlassen, wie eine Stadt, welche verheeret ist. Is. 1,8. Wie viele Städte sind nicht wegen der Sünden ihrer Bewohner, die Gott nicht länger ertragen konnte, zerstört und vernichtet worden. Als unser göttlicher Heiland Jesus Christus eines Tages die Stadt Jerusalem erblickte und den Untergang betrachtete, der ihr, um der Laster ihrer Bewohner willen bevorstand, so weinte Er vor Mitleid über dieselbe. Als er die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: Sie werden in dir keinen Stein auf dem andern lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast. Luc. 19,41 und 44. Arme Stadt, sprach der Herr, es wird in dir kein Stein auf dem andern liegen bleiben, weil du die Gnade nicht erkannt hast, die ich dir erwiesen, da ich zu Dir kam und dich mit so vielen Zeichen meiner Liebe zu gewinnen suchte; ach, dafür hast du, Undankbare mich verachtet und verstoßen: Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, und du hast nicht gewollt? Siehe, euer Haus wird euch wüste gelassen. Luc. 13,34.
O Sünder, wer weiß, ob nicht jetzt deine Seele ansieht, ob Er sie nicht ansieht und über dieselbe weint, weil Er erkennt, daß du den Besuch, den Er dir jetzt macht, und die Ermahnung, dein Leben zu bessern, gering achtest. Wie oft wollte ich und du hast nicht gewollt? Wie oft, sagt der Herr, wollte Ich dich, durch das Licht der Gnade an Mich ziehen, und du hast nicht hören wollen, du bist taub geblieben, du bist vor Mir geflohen: Siehe, dein Haus wird wüste gelassen; schon bin Ich im Begriffe, dich zu verlassen, und wenn Ich dich verlasse, ach alsdann wird dein Untergang unvermeidlich und ohne Rettung sein.
Wir wollten Babylon heilen, aber sie ward nicht heil, so laßt uns sie verlassen. Jerem. 51,9. Wenn der Arzt sieht, daß der Kranke keine Arznei zu sich nehmen will, so reicht er sie ihm selbst mit aller Liebe dar; aber ach, der unverständige Kranke wirft sie zum Fenster hinaus. Was tut dann wohl der Arzt? Dann wendet er sich von dem Kranken hinweg und verläßt ihn. O mein Christ, wie viele Heilsmittel, wie viele Eingebungen, wie viele Zurufe hat Gott dir zu dieser Stunde zukommen lassen, um dich vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Konnte Gott auch wohl mehr tun? Und wenn Er dich dennoch verdammt, kannst du dich alsdann gegen Gott beklagen, der dich auf so mannigfache Weise gerufen hat? Gott ruft dich, o mein Christ, durch Predigten, durch innere Einsprechungen, durch Wohltaten, Er ruft dich durch zeitliche Strafen, damit du die ewigen fürchten und sie meiden lernest; deshalb sagte der hl. Bernardin von Siena, es gebe, um gewisse Sünden, besonders die Ärgernisse, aufzuheben, kein besseres Mittel, als die zeitlichen Strafen Gottes. Aber wenn Gott sieht, daß alle Seine Wohltaten zu nichts dienen, als die Sünder in ihrem bösen Leben nur noch übermütiger zu machen, wenn Er sieht, daß man Seine Drohungen verachtet, kurz, wenn Er sieht, daß Er spricht und nicht gehört werde, dann verläßt Er den Sünder. Deshalb ruft Er Selbst uns zu: Ich rief und ihr habt nicht gewollt, ihr habt meine Strafreden in den Wind geschlagen; so will ich auch bei euerm Untergange lachen und spotten. Sprichw. 1,24. Weil ihr, sagt der Herr, über Meine Worte, über Meine Drohungen und Meine Strafen lachet, so will Ich über euch die letzte Strafe senden und dann über euch lachen. Der Stab ward zur Schlange. Ex. 4,3. Der hl. Bruno bemerkt über diese Worte: Der Stab wird alsdann zur Schlange, wenn der Sünder sich nicht bessern will. Auf die zeitliche Strafe wird die ewige folgen. Gott versteht es gar wohl, uns zu züchtigen. Er macht, daß aus denselben Dingen und Ursachen, wegen welcher wir sündigen, die Strafe folge. Womit Jemand sündigt, damit wird er auch bestraft. Weish. 11,17. Die Juden töteten Jesus, weil sie fürchteten, die Römer möchten sich ihres Landes bemächtigen. Die Römer, sagten sie, werden kommen und unser Land und Volk wegnehmen. Joh. 11,48. Aber gerade die Sünde, welche sie begingen, indem sie Jesus töteten, war die Ursache, daß kurze Zeit darauf die Römer kamen, und ihnen wirklich Alles wegnahmen. Sie fürchteten, sagt der hl. Augustin, das Zeitliche zu verlieren, und gedachten nicht des ewigen Lebens: dadurch aber haben sie beides verloren. Um nicht ihren zeitlichen Besitz zu verlieren, haben sie ihre Seelen ins Verderben gestürzt; aber es kam die Züchtigung und sie verloren beides, sowohl das Ewige als auch das Zeitliche. So geht es noch heutzutage Vielen, sie verlieren ihre Seelen um der zeitlichen Güter willen, worauf Gott es mit Recht zuläßt, daß sie, um ihrer Sünden willen, elend seien auf Erden und dereinst ewig verdammt werden. O Sünder! ladet doch nicht von Neuem den Zorn Gottes auf euch. Wisset, daß je größer die Barmherzigkeit des Herrn ist, die Er euch erwiesen, und daß je länger Er euch erduldet, desto größer und schneller auch Seine Strafe erfolgen werde, wenn ihr nicht aufhört, Ihn zu beleidigen. Für die späte Rache entschädiget Sich Gott durch die Schwere der Strafe, sagt der hl. Gregorius. Der Herr spricht zu einer jeden Seele, welcher Er Wohltaten erwiesen hat: Weh dir, Corozain, weh dir Bethsaida, denn wenn zu Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, hätten sie nicht in härenem Kleide und in der Asche sitzend Buße getan? Luc. 10,13. O meine Christen, wenn der Herr die Gnaden, die Er euch erwiesen hat, Türken oder Indiern erwiesen hätte, so wären dieselben vielleicht heilig geworden oder hätten wenigstens über ihre Sünden eine große Reue gehabt; und ihr, ach sagt es mir, seid ihr heilig geworden? Habt ihr wenigstens eine große Reue über so viele Todsünden, über so viele schlechte Gedanken und Worte, über so viele Ärgernisse, die ihr gegeben? Seht ihr, wie Gott über euch zürnt? wie Er die Geißel in der Hand hält?
Was sollen wir nun aber tun? Sollen wir etwa verzweifeln? Nein, Gott will nicht, daß wir verzweifeln. Tun wir, wozu uns der hl. Paulus ermahnt, da er sagt: Lasset uns mit Zuversicht hintreten zum Throne der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden, wenn wir Hilfe nötig haben. Hebr. 4,16. Zum Throne der Gnade müssen wir also hintreten, um Nachlassung unserer Sünden, um Nachlassung der uns drohenden Strafe zu erlangen, zur Zeit, da wir Hilfe nötig haben, d. h. sogleich, denn wenn uns Gott etwa auch noch heute helfen will, so wird Er es vielleicht morgen nicht mehr wollen. So gehen wir denn gleich zum Throne der Gnade. Aber wer ist dieser Thron der Gnade? Es ist Jesus Christus: Er ist die Versöhnung für unsere Sünden. 1. Joh. 2,2. Jesus ist es, der uns durch die Verdienste Seines Blutes Verzeihung erlangen kann. Aber wir müssen eilen, denn vorübergehend predigte Jesus in Judäa, vorübergehend heilte Er Kranke, teilte Er Seine Gnaden den Menschen mit, und nur, wer achtsam war und Ihn darum bat, erhielt dieselben. Wer sich aber nicht um Ihn kümmerte, wer Ihn vorübergehen ließ, ohne Ihn um eine Gnade zu bitten, der ging leer aus: Wohltaten spendend ist er vorübergegangen. Apostelgesch. 10,38. Deshalb sagte der hl. Augustin: Ich fürchte Jesus, da Er vorübergeht. Der Heilige wollte damit sagen, daß, wenn uns Jesus Seine Gnaden anbietet, wir sogleich Ihm entgegenkommen und mitwirken müssen, damit wir sie erhalten; sonst geht Er vorüber und wir gehen leer aus: Heute wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet eure Herzen nicht. Ps. 94,8. Heute ruft dich Gott, schenke dich also heute demselben, denn, wenn du das nicht tust, wenn du noch warten willst, so wird Er dich vielleicht nicht mehr rufen und du wirst verlassen zurückbleiben. Ein Thron der Gnade ist auch, wie der hl. Antonin sagt, die allerseligste Jungfrau Maria, die eine Königin und Mutter der Barmherzigkeit ist. Wenn du also siehst, daß Gott gegen dich zürnet, dann wende dich, wie der hl. Bonaventura dazu ermahnt, an die Hoffnung der Sünder. Wer ist aber die Hoffnung der Sünder? Maria ist es, denn sie wird in der Heiligen Schrift genannt: die Mutter der heiligen Hoffnung. Eccl. 24,24. Man muß aber wissen, daß eine heilige Hoffnung nur die Hoffnung jenes Sünders sei, der seine Missetaten bereut, und der sein Leben ändern will; wenn er aber sein böses Leben fortsetzen wollte, dann wäre seine Hoffnung auf Maria eine falsche, eine vermessene Hoffnung. Bereuen wir also unsere Sünden, entschließen wir uns zur Buße und wenden wir uns mit Vertrauen an Maria, die uns alsdann gewiß helfen und erretten wird.
Akt der Reue und des Vorsatzes.