- Gottes enge Pforte -

Mein höchstes Ideal

Jesus - Mariens Sohn
 
 
Nach der Lehre des P. Chaminade
Von P. Dr. theol. E. NEUBERT S. M.
 
An den Hochwürdigen
 
Pater Franz Joseph Kieffer
Generaloberer der Gesellschaft Mariä
 
Vatikanstadt, 20. Jänner 1940
 
Hochwürdigster Pater!
Die verschiedenen Werke, die Sie kürzlich dem Heiligen Vater widmeten, hat er mit lebhafter Freude angenommen, und er beauftragt mich, Ihnen seinen väterlichen Dank zu übermitteln.
Er freut sich über die Verbreitung des Werkchens von P. Neubert: "Mein höchstes Ideal: Jesus, Sohn Mariens." Die Übersetzung in verschiedenen Sprachen, die Sie ihm vorgelegt haben, beweisen den Erfolg, den das Büchlein hat, und das Gute, das es wirkt.
Seine Heiligkeit beauftragt mich, Ihnen mit Seinem Dank den Ihnen gerne erteilten Apostolischen Segen zu übermitteln.
Ihr in Christo sehr ergebener
L. Kard. Maglione
 
Das höchste Ideal
 
1.
"Ich habe euch ein Beispiel gegeben..."
Jesus:
1. Mein Bruder, du liebst meine heiligste Mutter und fühlst dich glücklich dabei. Doch lange noch liebst du sie nicht in dem Maß, wie ich es von dir möchte.
- Du liebst sie, weil man liebt, was rein und schön, und weil sie das Urbild aller Reinheit und Schönheit ist.
- Du liebst sie, weil man alle jene liebt, die gütig und hilfreich sind, und weil niemand so gut und hilfreich ist wie sie.
- Du liebst sie, weil du in ihr die Mutter siehst, und weil doch jedes Kind seine Mutter liebt.
- Du liebst sie, weil du ihre Liebe erfahren und dich überzeugen konntest, daß du mit ihrer Hilfe leichter rein und eifrig bliebst.
- Du liebst sie, weil du in Büchern gelesen und in Predigten gehört hast, daß die Andacht zu ihr das leichteste Mittel ist, dein Heil zu sichern und zur Vollkommenheit zu gelangen, und du willst dich ja retten und heiligen.
 
2. Jeder von diesen Beweggründen zur Liebe ist gut; aber es gibt einen, der noch viel besser ist. Diese Motive können wohl eine innige Andacht zu meiner Mutter bewirken; doch ist es nicht jene, die ich bei dir so gerne sehen möchte.
Die Andacht zu meiner Mutter ist etwas so Großes, etwas so Segensvolles, etwas, das meine Mutter und mir so wohlgefällig ist, daß du dich dabei nicht mit dem Mittelmäßigen, nicht mit dem Ziemlichguten, nicht einmal mit dem Sehrguten zufrieden geben kannst: das Vollkommenste allein genügt!
 
3. Kennst du die vollkommenste Andacht zu Maria? Durchforsche die Bücher, frage die Theologen, wende dich an die Heiligen, forsche nach dem Geheimnis der größten Marienverehrer, die je gelebt haben: Nirgends wirst du eine vollkommenere Andacht finden als diese, die ich dich lehren will, nämlich die Teilnahme an meiner eigenen Kindesliebe zu meiner Mutter. 
Besteht die Vollkommenheit meiner Jünger nicht in der Ähnlichkeit mit ihrem Meister? Habe ich ihnen nicht das Beispiel gegeben, damit sie so handeln, wie ich selbst? Hat ihnen mein Apostel Paulus nicht zu wiederholten Malen verkündet, für sie bestehe alles darin, daß sie Christus nachahmen, "Christus anziehen", "die Gesinnungen Christi annehmen", um nicht mehr ihr Leben zu leben, sondern das Leben Christi?
Sage mir nun, kannst du meiner Mutter gegenüber vollkommenere Gesinnungen vorstellen als die meinen?
 
Die Seele:
O Jesus, was für großartige Aussichten eröffnet mir die Teilnahme an Deiner kindlichen Liebe zu Deiner Mutter! Doch, wie könnte ich armer Sünder ein so hohes Ideal verwirklichen? Wie könnte ich es auch nur verstehen?
 
2. 
Ich bin Mariens Sohn, weil ich es gewollt.
Jesus:
1. Mein Bruder, um meine kindliche Liebe zu Maria, meiner Mutter, zu begreifen, versuche zunächst zu verstehen, daß ich ihr Sohn bin, weil ich es gewollt.
Was ich getan, war nie erzwungen, nie zufällig oder planlos.
Als ich mich entschloß, hinzugehen, um die Ehre meines Vaters wiederherzustellen und die Menschheit zu erlösen, da eröffneten sich mir unendlich viele Wege; allen anderen aber zog ich den Weg über Maria vor.
Mit freier Überlegung habe ich Maria erschaffen, damit sie meine Mutter werde; denn sie hätte nie gelebt, hätte ich ihr nicht dieses Amt anvertrauen wollen. Mit freier Überlegung schuf ich sie so, wie sie ist, damit ich so werde, wie ich bin.
Ich bin in aler Wahrheit ihr Kind. Wie jedes andere Kind wollte ich aus meiner Mutter Fleisch annehmen, wollte von ihrer Milch ernährt, von ihrer Hand gehegt und gepflegt werden, wollte ich ihr untertan sein.
Ich bin ihr Kind in viel höherem Grad, als du das deiner Mutter bist; ist es doch sie allein, aus der ich meine ganze menschliche Natur annahm.
Ich bin ihr Kind, ganz und gar, als Gottmensch. Denn der, den sie gebar, ist nur einer.
 
2. Wisse nun, daß die Liebe es war, die mich trieb, ihr Kind zu werden, die Liebe zu meinem Vater zunächst, den ich auf diese Weise mehr verherrlichen konnte und den die Menschen um ihretwillen besser verstehen und inniger lieben können. Dann die Liebe zu meiner Mutter, die mir mehr Freude bereiten sollte als alle Engel und Menschen, und auch die Liebe zu den Menschen, ... die Liebe zu dir, mein vielgeliebter Bruder!
 
3.
Betrachte und bewundere
Jesus:
1. Betrachte jetzt, was mir meine Kindesliebe zu meiner Mutter alles eingegeben hat!
Von Ewigkeit her dachte ich an sie und liebte sie; denn von Ewigkeit her sah ich in ihr meine künftige Mutter.
Ich dachte an sie, als ich den Himmel mit den Engeln erschuf; ich dachte an sie, als ich die Erde und die Menschen bildete.
Ich dachte an sie, als ich das Urteil über deine Stammeltern aussprach; ich dachte an sie, als ich mich den Patriarchen und den Propheten offenbarte.
 
2. Die Liebe zu mir bewog mich, sie mit Vorzügen auszustatten, von denen jeder einzelne das Größte übertrifft, das ich je für alle anderen Geschöpfe getan. Sie und nur sie allein war durch mich unbefleckt in ihrer Empfängnis, frei von jeder Begierde und Unvollkommenheit, voll der Gnade mehr als alle Engel und Heiligen, Mutter Gottes und allzeit Jungfrau, mit Leib und Seele schon vor der allgemeinen Auferstehung verherrlicht.
 
3. Ich kam auf die Welt, die Menschen zu erlösen; und da widmete ich dreißig Jahre meines Lebens meiner Mutter allein, nur drei Jahre den anderen Menschen.
 
4. Es war mir nicht genug, sie an meinen Vorzügen und an meinem Innenleben teilnehmen zu lassen und in innigster Vertrautheit mit ihr zu leben: Ich wollte, daß sie auch an der Sendung, die mir mein Vater anvertraut hat, teilhabe. Wie ich der Erlöser bin, wollte ich, daß sie Miterlöserin sei, und daß sie alles, was ich für das Heil der Welt verdiente, in voller Teilnahme mitverdiene.
 
5. Sogar im Himmel wollte ich, daß sie Fürbitterin bei mir sei, wie ich Fürbitter beim Vater bin, um den Menschen alle Gnaden auszuteilen, die zu erwerben sie hienieden mitgewirkt hat. Im Himmel nämlich bin ich noch immer ihr Sohn, wie ich es auf Erden war. Unendlich glücklich bin ich, ihr durch meine Freigiebigkeit das zu vergelten, was sie einst aus Liebe zu mir getan und gelitten hat.
 
6. Höre weiter: Ich setze mein Leben in der Kirche fort, in meinem mystischen Leib, der von meinem Geist geleitet wird. Alles, was meine Kirche tut, das tue ich: Was die Kirche für meine Mutter tut, ich bin´s, der es für sie tut. Denke nur an all das, was die Kirche getan, um ihr Verehrung und Liebe zu bezeugen; wie sie Mariens Vorzüge verteidigte und feierlich verkündete, neue Feste ihr zu Ehren einsetzte, die Andachten zu ihr förderte, Bruderschaften und Ordensgesellschaften bestätigte, die sich ihrem Dienst weihten. Dann betrachte die Frömmigkeit der Kinder dieser Kirche: ihre Heiligen, die meiner Mutter so ergeben sind, die eifrigen Seelen, die mit außerordentlicher und stets wachsender Verehrung Maria dienen, und selbst die einfachsten Gläubigen, die so voller Eifer über Mariens Ehre wachen, so scharfsichtig sind für ihre Vorzüge - oft scharfsichtiger als die Gelehrten -, so von Begeisterung entflammt, wenn es sich darum handelt, ihr ein Zeichen besonderer Anhänglichkeit zu geben! Was ist das anderes als eine großartige und doch noch recht schwache Offenbarung meiner unvergleichlich großen Kindesliebe zu meiner Mutter?
Füge ferner zu dem, was die streitende Kirche für Maria getan hat und bis zum Ende der Welt tun wird, das hinzu, was die triumphierende Kirche die ganze Ewigkeit hindurch für sie tut! Denn in den Heiligen des Himmels lebe ich in weit höherem Grade als in den Gläubigen auf Erden. Stelle dir die Gesinnungen der Dankbarkeit, Ehrfurcht und Liebe vor, die die Seligen ihrer Königin und Mutter immerfort bezeugen, der sie ihre ewige Seligkeit verdanken! Immer bin ich es, der in ihnen und durch sie meine Mutter ehrt und liebt!
 
7. Lasse vor deiner Seele alle diese Beweise meiner kindlichen Liebe vorüberziehen! Betrachte sie, dringe tief in sie ein, verstehe, was du davon verstehen kannst, und dann wisse, daß du, was du nicht begreifen vermagst, alles das, was du je davon verstehen wirst, unendlich übertrifft ... und dann sage dir, daß ich dich an dieser unendlichen Liebe teilnehmen lassen will.
 
Die Seele:
O Jesus, wie wunderbar! Wie aber könnte ich Maria auch nur annähernd mit solcher Liebe lieben?
 
4. 
Meine Mutter, deine Mutter.
Jesus:
1. Mein Bruder, nur dann kannst du meine kindliche Liebe zu Maria wirklich nachahmen, wenn du gleich mir ihr Kind wirst. Weißt du, bis zu welchem Grad du Kind Mariens bist?
Alle Gläubigen meinen es zu wissen, weil sie alle Maria ihre Mutter nennen. Die meisten jedoch haben eine recht unvollkommene Idee von Mariens Mutterschaft ihnen gegenüber.
Manche lieben Maria, wie wenn sie ihre Mutter wäre. Was aber würde dir wohl deine irdische Mutter antworten, wenn du ihr sagtest: "Ich liebe dich, wie wenn du meine Mutter wärest!?"
Viele meinen, Maria sei ihre Mutter einzig und allein kraft jener Worte, die ich vor meinem Tode sprach, als ich damals meine Mutter und meinen Lieblingsjünger am Fuß des Kreuzes stehen sah und zu Maria sagte: "Frau, siehe da, deinen Sohn!" und zu Johannes: "Siehe da, deine Mutter!" Diese meine Worte hätten Maria mit der Aufgabe einer Mutter betrauen und in ihr Gesinnungen einer Mutter schaffen können; wäre aber ihre Mutterschaft nur von diesen Worten abhängig gewesen, besäße sie bloß eine Adoptivmutterschaft. Suche also zu verstehen, daß Maria in der übernatürlichen Ordnung deine wahre Mutter ist, ähnlich wie jene, die dich gebar, deine wahre Mutter ist in der Ordnung der Natur.
 
2. Eine Mutter ist eine Frau, die das Leben gibt. Maria hat dir das Leben gegeben, das wertvollste Leben.
Sie gab es dir in Nazareth, auf Kalvaria und bei der Taufe.
Als sie mich in Nazareth empfing, hat sie zugleich auch dich empfangen.
Sie wußte, daß sie mit einem Ja oder Nein an Gabriel dir das Leben schenken oder dich im Tode lassen würde. Sie antwortete mit einem Ja, damit du das Leben habest. Sie war bereit, mir das Leben zu geben und dadurch auch dir. Indem sie meine Mutter wurde, wurde sie auch die deine. Von dieser Stunde an gehörtest du nach den Absichten Gottes und auch nach den ihrigen - weil sie Gottes Absichten erkannte und mit ganzer Seele zustimmte - meinem mystischen Leib an. Ich war das Haupt dieses Leibes, du ein Glied desselben. Und beide trug Maria in ihrem Mutterschoß (wenn auch auf verschiedene Weise), denn Haupt und Glieder sind voneinander nicht getrennt.
 
3. Auf dem Kalvarienberg gebar sie dich, indem sie mich für dich zum Opfer brachte.
Auf Golgotha erst wurde deine gänzliche Befreiung von Sünde und Tod bewirkt. Da vollendete ich "die Vernichtung dessen, der das Reich des Todes beherrscht". Auf Golgotha verdiente ich dir durch meinen Tod die Gnade, mein Leben zu leben. Es war aber mit Vereinigung mit ihr, Maria, daß ich dieses Werk vollbrachte. Als Opferlamm hat sie mich empfangen; im Hinblick auf meine Opferung hat sie mich ernährt, erzogen; in meiner Todesstunde brachte sie mich zu deinem Heil dem Vater dar und verzichtete zu deinen Gunsten auf alle ihre Mutterrechte über mich. Sie, die allzeit Jungfrau geblieben, die ihren Erstgeborenen in Freude geboren hatte, gebar dich und deine Brüder in den furchtbarsten Schmerzen.
 
4. In diesem Augenblick kam ihre Mutterschaft über dich zur Vollendung. Das ist der Grund, weshalb ich in diesem Augenblick diese ihre Mutterschaft laut verkünden wollte, indem ich Maria Johannes anvertraute und Johannes Maria empfahl. Meine Worte bewirkte nicht diese Mutterschaft, sondern bezeugten, bekräftigten und vollendeten sie in der feierlichsten Stunde meines Lebens, in jener Stunde, in der meine Mutter die deine ward im wahrsten Sinne des Wortes, und in der sie am besten ihre mütterliche Sendung zu begreifen imstande war.
 
5. In der Taufe gab dir Maria das Leben selbst, nicht nur das Recht darauf, wie auf Kalvaria. Deine irdische Mutter brachte bloß ein totes Kind zur Welt. Die heiligmachende Gnade mußte dir in der Taufe eingegossen werden, und erst dann kamst du zum Leben.
Maria war es, die dir diese heiligmachende Gnade erwirkte, sie, ohne die nie eine Gnade gewährt wird. Als du aus einem Kinde des Zornes ein Kind Gottes wurdest, da war es Maria, die dich zum neuen Leben gebar.
 
6. Verstehst du jetzt, wie Maria dadurch, daß sie dich am Leben Gottes teilnehmen ließ, wahrhaft deine Mutter in der übernatürlichen Ordnung ist, gleichwie jene in der natürlichen Ordnung deine Mutter ist, die dir das leibliche Leben geschenkt? Doch nein! Maria ist es noch viel in viel höherem Grade!
Sie ist es viel mehr wegen der Art und Weise, in der sie dir das Leben gab.
Um dich zu gebären, opferte sie unvergleichlich mehr als deine irdische Mutter; sie opferte in bitterstem Leid das Leben, das ihr unendlich teuer war als ihr eigenes Leben.
Sie sorgt für dich dein ganzes Leben lang, während die irdischen Mütter dies nur so lange für ihre Kinder tun, bis sie erwachsen sind. Immer bleibst du Mariens Kindlein, das sie immer von neuem gebiert, bis Christus in dir gebildet ist. Wenn du aber das Unglück hättest, dein übernatürliches Leben zu verlieren, so könnte sie dir jedesmal dieses Leben wieder erlangen und müßte nicht, wie eine irdische Mutter, hilflos an der Leiche ihres Kindes weinen.
Sie liebt dich, so unvollkommen und undankbar du auch bist. Sie liebt dich mit einer Liebe, die an Innigkeit und Reinheit jede Mutterliebe übertrifft!
 
7. Maria ist deine Mutter in viel höherem Maß vor allem wegen der Natur jenes Lebens, das sie dir schenkte.
Nicht ein vergängliches war es, wie dein irdisches beschaffen ist, sondern ein ewiges, ein Leben ohne Ende; nicht ein mit Befürchtungen und Unvollkommenheit durchsetztes, sondern ein unendlich glückliches; nicht ein geschaffenes, menschliches Leben oder das der Engel, sondern - verstehe es wohl! - ein Leben, das Teilnahme am ungeschaffenen Leben Gottes, am Leben der Heiligen Dreifaltigkeit selbst ist. Darum wird dieses Leben kein Ende nehmen und unendlich glücklich sein, weil es dich teilnehmen läßt an der Ewigkeit und Seligkeit Gottes. Welche irdische Mutterschaft könnte den Vergleich mit einer solchen Mutterschaft bestehen?
Nun aber ist Maria deine wahre Mutter, sie ist eine so vollkommene Mutter, weil sie meine Mutter ist.
Du bist mein Bruder, mein teuerster Bruder, weil mein Vater dein Vater und meine Mutter die deine ist!
 
Die Seele:
Nein, Jesus, ich verstand nicht, inwieweit Maria meine Mutter ist. Wie nahe Du sie mir doch gebracht hast! Dank, lieber Jesus, für diese Gabe über alle Gaben!
 
5.
Du liebst Maria.
Nein, nicht mehr du bist es, der sie liebt,
sondern ich liebe sie in dir.
Jesus:
1. Mein Bruder, da mein Leben dein Leben und meine Mutter deine Mutter ist, fällt es dir wohl nicht schwer, meine Kindesliebe zu ihr nachzuahmen.
Doch du sollst mich nicht bloß nachahmen wie ein Jünger seinen Meister oder wie ein Christ hienieden seinen Schutzpatron im Himmel. Ich bin für dich die innere Quelle des Lebens.
 
2. Durch mich hast du das Leben. Meine Gesinnungen müssen die deine werden.
Ich bin der Weinstock; du bist eine Rebe daran; der gleiche Lebenssaft kreist im Weinstock und in den Reben.
Ich bin das Haupt; du bist ein Glied meines mystischen Leibes; das gleiche Blut fließt im Haupt und in den Gliedern.
Bist du rein, so bin ich es, der in dir rein ist; bist du geduldig, so bin ich es in dir; bist du liebevoll, so übe ich die Liebe in dir; du lebst, doch nein, nicht mehr du bist es, der lebt, sondern ich lebe in dir. Du liebst meine Mutter. Nein, nicht mehr du bist es, der sie liebt, sondern ich liebe sie in dir.
Verstehst du jetzt, warum du immer so glücklich bist bei deiner Marienliebe? Ich bin es, der in dir so große Freude hat an der Liebe zu ihr.
 
3. Du nimmst teil an meinem Leben. Doch ist mein Leben in dir noch lange nicht vollkommen. Wenn es so wäre, so würdest du in allem denken, wollen und handeln wie ich. Zu viele Hindernisse hemmen die freie Entfaltung meiner Tätigkeit in deiner Seele. Zu oft noch muß ich in dir wie ein Gefangener in seiner Kerkerzelle leben.
Du mußt diese Hindernisse wegräumen. Durch großmütige Anstrengung mußt du dazu kommen, meine Gedanken zu denken und meinen Willen zu wollen. Du mußt das ergänzen, was meinem Leben in dir noch fehlt.
Du nimmst teil an meiner Kindesliebe zu meiner Mutter. Aber meine Kindesliebe zu ihr ist noch lange nicht vollkommen in dir.
Du mußt die Hindernisse entfernen: du mußt durch großmütige Anstrengung dahin gelangen, daß du meiner Mutter gegenüber mein Denken, mein Fühlen, mein Wollen und mein Handeln dir zu eigen machst.
Du mußt das ergänzen, was meiner Kindesliebe zu Maria in dir noch fehlt.
 
4. Beginnst du zu ahnen, was ich dir bezüglich deiner Andacht zu Maria offenbaren möchte?
Du sollst meine Mutter lieben, weil ich sie liebe; du sollst sie gerne haben, wie ich; du sollst sie lieben mit jener Liebe, mit der ich sie liebe.
 
Die Seele:
O Jesu dulcis, o Jesu pie,
O Jesu, fili Mariae!
(O süßer Jesus, o liebster Jesus,
O Jesu, du Sohn Mariens!)
 

 
Was das Ideal fordert
Jesus:
Mein Bruder! Ich habe dir das Ideal gezeigt. Ich will dir jetzt die Forderungen zeigen, die es an dich stellt.
Bisher hast du mich mit Freuden angehört. Höre mich auch weiterhin mit Freuden an, aber auch mit Liebe und Großmut!
Es handelt sich nun nicht mehr bloß darum, dein Vorbild mit Bewunderung zu betrachten; es gilt, seine Züge in dir zu verwirklichen.
Einen jeden dieser Züge will ich dir vor Augen führen. Du wirst sie aber nur ganz unvollkommen verwirklichen können, wenn du es nicht verstehst, dir selbst zu entsagen und zu lieben.
 
1.
Gib dich, gleich mir,
ohne Vorbehalt meiner Mutter hin.
Jesus:
1. Mein Bruder, dadurch, daß ich Mariens Sohn wurde, schenkte ich mich ihr ganz und gar.
Ich bin der Schöpfer und höchste Herr aller Dinge; dennoch wollte ich aus Liebe Maria angehören und von ihr abhängig sein. Ich wollte ihr angehören durch die innigsten Bande, die es gaben kann, durch die Bande der Natur, die niemand zu lösen vermag.
Von aller Ewigkeit her habe ich mir diese Beziehungen und diese Abhängigkeit eines Kindes gewählt und sogleich vom ersten Augenblick meiner Menschwerdung an im Schoß Mariens habe ich durch meinen menschlichen Willen diesen Beschluß meiner ewigen Liebe und meines unaussprechlichen Wohlgefallens bestätigt.
Als Sohn einer Jungfrau gehöre ich meiner Mutter, wie kein anderes Kind seiner Mutter angehört. Diesen Zustand vollständiger Abhängigkeit wollte ich durch alle Ewigkeit bestehen lassen, wie es sonst kein anderes Kind zu tun vermag.
Ich verließ meine Mutter nicht nach der Art der Kinder, die eine eigene Familie gründen wollen. Ich blieb ihr bis zum Augenblick, der für den Beginn meiner öffentlichen Lehrtätigkeit bestimmt war. Weil meine Mutter stets nur den Willen meines himmlischen Vaters kannte, sollte er auch das höchste Opfer fordern, war mein Wille dem ihrigen immer vollkommen gleichförmig.
Mehr noch! Im Himmel denke ich und werde stets daran denken, daß ich ihr Sohn bin. Obwohl ich dort König und Gebieter bin, werde ich doch mit vollkommener Kindesliebe in alle Ewigkeit stets ihrem mütterlichen Willen willfahren.
 
2. Folge meinen Beispiel und gib dich meiner Mutter hin, ganz und gar, ohne Vorbehalt und für immer, als ihr vielgeliebtes Kind!
Gib ihr deinen Leib hin mit allen seinen Tätigkeiten, deine Seele mit ihren Kräften.
Gib ihr alle deine materiellen und geistigen, deine natürlichen und übernatürlichen Güter hin!
Gib ihr alles, was du bist, was du sein wirst, alles, was du hast und haben wirst, alles, was du tun und noch tun wirst! Weder in noch außer dir soll es etwas geben, was nicht ihr gehörte.
 
3. Gib dich nicht zufrieden, dich Maria zu schenken, um ihr Eigentum zu werden: Du sollst nicht ein lebloses Ding, sondern ein inniggeliebtes Kind sein, das seiner Mutter hilft. Denn sie wird es später sagen: Ihr habe ich in der Welt eine große Rolle anvertraut, und um diese zu erfüllen, will sie deine Hilfe in Anspruch nehmen.
 
4. Gib dich ihr, ohne an Widerruf zu denken! Nicht aus Eigennutz, nicht um des Vorteils willen, nicht der Tröstungen wegen, die du bei deiner Hingabe empfindest, sondern gib dich hin aus reiner Kindesliebe, so wie ich es selbst getan.
Du wirst Tröstungen haben; doch auch Prüfungen werden dich treffen. Denke weder an die einen noch an die anderen! Laß die Mutter sorgen! Was dich betrifft, so sei deine einzige Sorge, dich vollkommen und aus Liebe hinzuopfern.
 
5. Gib dich für immer hin!
Zahlreich sind jene, die im Augenblick der Begeisterung gelobt haben, alles Maria hinzugeben. Aber leider sind die fast ebenso zahlreich, die zwar alles im allgemeinen hingegeben, dann aber nach und nach alles wieder zurückgenommen haben.
Sobald in Stunden der Prüfung ihre vollkommene Hingabe Opfer von ihnen forderte, sagten sie: "Hart ist die Rede. Wer kann sie hören?" und wollten auf dem Wege ihrer vollkommenen Weihe nicht mehr weitergehen.
Wirst du handeln wie sie? Man muß manchmal ein Held sein, um seiner völligen Zugehörigkeit zu Maria im Leben treu zu bleiben; denn mit meiner Mutter muß man bis zum Gipfel des Kalvarienberges gehen. Fühlst du dich fähig zu solchem Heldenmut?
 
6. Gewöhne dich daran, deine Weihe an die himmlische Mutter recht oft zu erneuern!
Erneuere sie beim Erwachen, damit dein Tagewerk Maria gehört!
Erneuere sie, so oft du mich in der heiligen Kommunion empfängst. Wenn du in diesem Augenblick ganz eins bist mit mir, schenke dich meiner Mutter als ihr vielgeliebtes Kind!
Erneuere sie vor den wichtigsten Handlungen, damit du dich erinnerst, daß du nicht für dich, sondern für sie allein arbeiten sollst.
Erneuere sie ganz besonders in den Prüfungen deines Lebens. Sage: "Mutter, als ich mich in meiner begeisterten Kindesliebe ganz dir schenkte, da konnte ich dieses Opfer noch nicht voraussehen. Doch ich wollte mich damals schon vollständig dir schenken, und nun will ich meine Hingabe nicht zurücknehmen. Alles, was du willst, weil du es willst, koste es, was es wolle!"
 
7. Willst du so großmütig werden, um auch stets deine Hingabe im Leben zu verwirklichen, dann schaue nicht auf das Opfer. Schaue auf mich und auf meine Mutter! Liebe wird dich drängen und die Gnade dich stützen.
Fühlst du deinen Mut sinken, bete! Wird deine Mutter ihrem Kind nicht helfen, das sie anruft, um ihr treu bleiben zu können? Wird dein älterer Bruder dir nicht die Kraft geben im Streben nach dem Ideal, zu dem er selbst sich berief?
 
Die Seele:
Ganz dein bin ich, o Mutter, und alles, was mein ist, ist dein!
 
2.
Liebe meine Mutter,
wie ich sie liebe.
a) Warum?
Jesus:
1. Mein Bruder, die Liebe war es, die mich zum Sohn Mariens gemacht hat. In meinen Beziehungen zu meiner Mutter erklärt die Liebe alles. Willst du meine Kindesliebe zu ihr verstehen, dann verstehe vor allem meine Liebe zu ihr.
Oh! Wie wollte ich, daß auch in dein Herz ein wenig von jener Liebe zu meiner Mutter einströmte, die in mir brennt! Arbeite an dir, um dich rein, demütig und großmütig zu machen, damit ich dir möglichst viel von meiner Kindesliebe mitteilen kann.
 
2. Überdenke nochmals in Sammlung und Gebet all das, was ich dir von meiner Liebe zu Maria angedeutet habe. Wie ich sie von aller Ewigkeit her erwählt und mit Vorzügen überhäuft habe, wie ich in innigster Vertrautheit mit ihr gelebt und sie an meiner Sendung teilnehmen ließ, wie ich sie liebe und ewiglich lieben werde durch die Heiligen und durch die ganze Kirche auf Erden und im Himmel.
 
3. Dringe dann tief ein in mein Herz und betrachte die Beweggründe, die mich zu solcher Liebe zu ihr trieben.
Ich habe sie geliebt und liebe sie, weil sie meine Mutter ist, eine Mutter von entzückender Schönheit und Vollkommenheit, eine Mutter, die mir durch das kleinste ihrer Worte, durch einen ihrer Blicke mehr Freude bereitet als alle Heiligen durch ihre heldenmütigsten Taten; eine Mutter, deren Liebe zu mir größer ist als die der Engel und Heiligen; eine Mutter, deren Leben nur mir galt, und die für mich bereitwillig das furchtbarste Martyrium auf sich nahm, das je ein Geschöpf erduldete.
 
4. Ich habe sie geliebt, weil sie mir bei der Erfüllung der Sendung half, die mir mein Vater anvertraut hatte;
weil sie mir meine menschliche Natur gab, so daß ich den Menschen die frohe Botschaft verkünden und für sie sterben konnte;
weil sie sich bei der Ausführung meiner Sendung mit mir vereinigte durch ihren Willen, ihre Gebete, ihre Opfer, ihre Gegenwart am Fuß des Kreuzes;
weil sie bis zum Ende der Zeiten nicht ruhen wird, die Sünder zu bekehren, die Gerechten zu heiligen und mir zahllose Seelen zuzuführen; 
weil sie selbst der große Triumph meines Erlösungswerkes ist, und weil ich dadurch, daß ich sie auf so vollkommene Weise erlöste, mehr tat als durch die Erlösung der Welt.
 
5. Ich habe sie geliebt und liebe sie, weil ich es ihr verdanke, daß ich dem Vater Huldigung, Sühne und Ehre von unendlichem Wert erweisen konnte, was ich ohne die menschliche Natur, die sie mir gab, nicht hätte tun können.
Ich liebe sie, weil sie sich in meinen Huldigungen an den Vater mit mir vereinte und ihn anbetete, verehrte und liebte, wie es alle Engel und Heiligen miteinander nie vermochten, noch je vermögen werden, und weil man durch sie meinen Vater besser verstehen und kindlichere Gesinnungen gegen ihn hegen wird.
 
6. Werde nicht müde, meine unermeßliche Liebe zu meiner Mutter zu betrachten! Nie wirst du damit fertig werden, nicht einmal in der Ewigkeit.
Versetze dich bei dieser Betrachtung an meine Stelle. Werde Jesus, erstgeborener Sohn Mariens! Denn mein Leben ist ja dein Leben! Versuche, das zu fühlen, was auch ich gefühlt habe.
 
7. Betrachte sodann die besondere Liebe, die Maria zu dir trägt.
Sie liebt dich, weil ich dich so sehr lieb hatte, daß ich für dich starb. Alles, was ich liebe, liebt auch sie.
Sie liebt dich, weil ich sie zu deiner Mutter gemacht habe, und Mutter sein, heißt lieben.
Sie liebt dich, weil eine Mutter ihr Kind um so mehr liebt, je mehr es sie gekostet hat, und du hast sie unaussprechliche Schmerzen gekostet.
Sie liebt dich, weil sie mich in den Tod hingeben mußte, um dir das Leben zu geben.
Sie liebt dich, weil du eins bist mit mir, und indem sie dich liebt, liebt sie mich.
 
Die Seele:
O Jesus, ich liebte Maria schon, als ich nur unbestimmt ahnte, was sie für mich ist. Jetzt, da ich anfange zu begreifen, daß sie wirklich meine Mutter ist, jetzt, da ich Deine Liebe zu ihr und ihre Liebe mir gegenüber zu verstehen beginne, sollte ich sie da nicht mit allen Fasern meines ganzen Wesens lieben?
 
3. 
Liebe meine Mutter, 
wie ich sie liebe.
b) Wie?
Jesus:
1. Mein Bruder, liebst du meine Mutter wirklich, sie, die ich so sehr liebe, und die dich so liebt?
Du meinst es, denn du freust dich, wenn du mit ihr sprichst, und begeisterst dich, wenn du ihr Lob singst. Doch lieben bedeutet hienieden nicht so sehr, sich freuen und sich begeistern, als vielmehr arbeiten und leiden.
 
2. Wenn du Maria liebst, willst du gerne für sie arbeiten.
Schätze dich glücklich, ihr deine Tätigkeit, deine Zeit und deine Mühen schenken zu dürfen!
Keine Arbeit soll dir zu schwierig sein, wenn es um ihre Ehre geht; kein Unternehmen wird dir unmöglich dünken, wenn es sich darum handelt, ihre Interessen zu fördern.
Am Tage, an dem dir eine Aufgabe zur Ehre Mariens über deine Kräfte zu gehen scheint, da müßtest du dir sagen, daß du sie nicht mehr liebst.
Meine Mutter nun hat für dich eine Aufgabe bereit, eine sehr edle und manchmal recht schwierige.
 
3. Wenn du Maria liebst, wünschest du, etwas für sie zu leiden.
Wer Maria nicht mehr liebt, wenn es für sie etwas zu leiden gibt, der hat sie nie geliebt; nur sich selbst hat er geliebt in den Tröstungen, die sie ihm bereitet hat.
Weigere dich nicht, zu leiden; du würdest dich dadurch weigern, zu lieben.
Es ist nicht genug, daß du das Leid bloß hinnimmst, liebe es!
Fühlst du dich denn nicht glücklich, daß du deine Liebe beweisen darfst?
 
4. Willst du lernen, deine Liebe stets zu mehren, so benütze die vier Mittel, die ich dir angeben will.
a) Befleißige dich, mit möglichst viel Liebe die Anzahl von kleinen Anstrengungen und Opfern des täglichen Lebens auf dich zu nehmen. Wenn du dahin kommst, in den kleinen Dingen deiner Mutter nie ein "Nein!" zu sagen, dann wirst du es auch in großen Dingen nie tun.
b) höre nie auf, deine Mutter immer besser kennenzulernen!
Lerne aus den Büchern alles, was du darin über ihre Größe, ihre Aufgabe, ihr Leben finden kannst und über jene, die sie geliebt und die ihr gedient haben. Dann denke über das Gelesene nach.
Nie wirst du sie völlig kennenlernen, weil du nie verstehen kannst, was ich für sie, und was sie für mich und für dich getan hat.
c) Lebe in beständiger Vereinigung mit ihr!
Je vertrauter du mit ihr lebst, um so mehr wirst du sie von Tag zu Tag deiner Liebe würdiger erachten und sie von Tag zu Tag mehr lieben.
Später werde ich dir erklären, wie du nach meinem Beispiel fortwährend mit ihr vereint bleiben kannst.
d) Verlange von mir die Gnade, sie zu lieben und in dieser Liebe stets zu wachsen.
Die Liebe zu meiner Mutter ist eine Gnade, und zwar eine ganz vorzügliche. Die Gnade erhält man durch das Gebet. Bitte und du wirst empfangen!
Bitte unverzüglich, denn diese Gnade kann unmöglich meinen Absichten entgegen sein.
Zögern hieße, mich und meine Mutter betrüben; hieße, die Möglichkeit annehmen, ich wollte nicht, daß du sie liebst.
Schon das Verlangen in dir, sie zu lieben, stammt es nicht von mir? Würde ich es dir eingeflößt haben, wenn ich nicht wollte, daß es befriedigt werde?
Flehe täglich um diese Gnade!
Bete darum besonders dann, wenn ich in der heiligen Kommunion zu dir komme, um mich mit dir zu vereinigen.
Als Sohn Mariens komme ich zu dir, mit jener Menschheit bekleidet, die ich von ihr erhielt und durch die ich dich an meiner Gottheit teilnehmen lasse.
"Wer mich ißt, wird durch mich leben!" Meine Mutter mit meiner Liebe lieben, heißt das nicht, durch mich leben?
Besonders in der heiligen Kommunion lasse ich die Liebe zu meiner Mutter aus meinem Herzen in das deine einströmen; in diesem Augenblick vor allem lebst nicht mehr du, sondern ich in dir und da liebst nicht mehr du Maria, ich bin es, der sie in dir liebt.
Bisher hast du mich kaum um diese Gnade gebeten. Bitte doch und du wirst empfangen, damit deine Freude vollkommen sei!
 
Die Seele:
O guter Jesus, um der Liebe willen, mit der du deine Mutter liebst, gib mir, ich bitte dich, die Gnade, sie wahrhaft zu lieben, so wahrhaft, wie du sie geliebt und wie du es willst, daß man sie liebe!
 
4.
Gehorche meiner Mutter,
wie ich ihr gehorchte.
Jesus:
1. Mein Bruder, willst du gleich mir deine Liebe zu deiner Mutter zeigen? Gehorche ihr, wie ich es getan!
Als kleines Kind ließ ich sie mit mir machen, was sie wollte. Ich ließ mich in die Krippe legen, in ihren Armen tragen; ich ließ mich stillen, in Windeln einwickeln; ich ließ mich nach Jerusalem, nach Ägypten und Nazareth führen.
Sobald ich dann Kraft genug hatte, beeilte ich mich, eiligst ihre Wünsche zu erfüllen, ja sie zu erraten und ihnen zuvorzukommen.
Nachdem ich die Gelehrten im Tempel in Staunen versetzt hatte, kehrte ich mit ihr nach Nazareth zurück und war ihr untertan.
Ich blieb bis zum dreißigsten Lebensjahr bei ihr und erfüllte stets ihre leisesten Wünsche.
 
2. Ihr zu gehorchen, war für mich ein unaussprechliches Glück. Durch meinen Gehorsam entschädigte ich sie für alles, was sie für mich getan, vor allem für das, was sie einst für mich leiden sollte.
 
3. Ich gehorchte ihr in aller Einfalt! Obgleich ihr Gott, war ich auch ihr Sohn. Sie war meine Mutter und die Stellvertreterin meines Vaters.
In aller Einfalt befahl sie mir, leitete mich und war unendlich glücklich, wenn sie mich um die Ausführung ihrer geringsten Wünsche bekümmert sah.
Willst du ihr dieses Glück erneuern, so gehorche ihr, wie ich es getan habe!
 
4. Maria hat Befehle auch für dich. Sie befiehlt dir zunächst durch die Stimme der Pflicht.
Für gewisse Menschen besteht die Marienverehrung in Bildern und Statuen, in Kerzen und Blumen; für wieder andere in Gefühlen der Zärtlichkeit oder der Begeisterung oder in freiwilligen Handlungen und Opfern.
Es gibt andere, die meinen, sie liebten Maria sehr, weil sie gern von ihr sprechen, oder weil sie sich in ihrer Einbildung als Helden im Dienste Mariens betrachten, oder weil sie sich bemühen, immer an sie zu denken.
Alle diese Dinge sind ja gut, aber das Wesentliche sind sie nicht. "Nicht die, die zu mir sagen: Herr, Herr! sind es, die eingehen werden in das Himmelreich, sondern wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der wird eingehen in das Himmelreich."
Ebenso sind nicht jene echte Kinder Mariens, die sagen: "Mutter, Mutter!", sondern jene, die stets ihren Mutterwillen erfüllen.
Nun hat Maria keinen anderen Willen als den meinen. Ich aber will von dir die Erfüllung deiner Pflicht.
 
5. Bemühe dich also vor allem, deine Pflicht zu erfüllen, und zwar ihr zu Liebe, mag diese Pflicht groß sein oder klein, leicht oder schwierig, interessant oder eintönig, ehrenvoll oder gering.
In der Absicht, deiner Mutter zu gefallen, sei deinen Vorgesetzten gegenüber gelehriger, freundlicher zu Gleichgestellten, gütiger gegen Untergebene und zuvorkommender für jedermann. Sei pünktlicher im Gehorchen, gewissenhafter bei deiner Arbeit und geduldiger in deinen Prüfungen!
 
6. Doch vollbringe mit möglichst viel Liebe und froher Miene deine mühevolle Arbeit, deine alltägliche Beschäftigung und das eintönige Nacheinander deiner Verpflichtungen, lächle alledem oder vielmehr lächle deiner Mutter zu, die von dir begeisterte Pflichterfüllung als Beweis deiner Liebe fordert.
 
7. Auf anderem Wege noch zeigt dir Maria ihren Willen, nämlich durch die Einsprechungen der Gnade.
Jede Gnade wird durch sie zuteil.
Wenn dich die Gnade drängt, diesem Vergnügen zu entsagen, jene Neigung zu unterdrücken, jenen Fehler oder jene Nachlässigkeit zu sühnen oder irgend einen Tugendakt zu üben, so ist es Maria, die dir sanft und liebreich ihre Wünsche offenbart.
Manchmal erschrickst du vor diesen Forderungen. Fürchte dich nicht! Deine Mutter spricht ja zu dir, deine Mutter, die dein Bestes will.
Erkenne ihre Stimme, vertraue ihrer Liebe und antworte mit einem Ja auf alles, was sie von dir verlangt.
 
8. Auf eine dritte Art kannst du Gehorsam gegen Maria üben. Wenn du nämlich die besondere Aufgabe ausführst, die sie dir anvertrauen will. Sei bereit!
 
Die Seele:
O Jesus, ich fange an zu verstehen, daß meine ganze Aufgabe darin bestehen soll, das Wort, welches der Heilige Geist von dir gesprochen hat, zu verwirklichen: "Er war ihnen untertan."
 
5.
Ehre meine Mutter
nach meinem Beispiel.
Jesus:
1. Mein Bruder, ich bin Gott, vor dem die Engel ihr Antlitz verhüllen und den sie zitternd verehren. Dennoch habe ich Maria demütig verehrt. Denn, obwohl ich Gott bin, bin ich doch auch ihr Sohn.
Ich bin es, der das Gebot gab: "Ehre Vater und Mutter!" Wie hätte ich selbst dieses Gebot nicht in seiner ganzen Vollkommenheit beobachten sollen?
 
2. Ich habe Maria geehrt, weil sie meine Mutter ist, eine unvergleichlich heilige und hehre Mutter, die Stellvertreterin meines himmlischen Vaters. Mache dir, wenn du es vermagst, einen Begriff von der tiefen und zugleich zärtlichen Ehrfurcht, mit der ich als kleines Kind, dann als Jüngling und als Mann sie grüßte, wie ich mich in ihrer Gegenwart benahm, sie anhörte, zu ihr sprach und all ihre Wünsche erfüllte.
Wie glücklich war sie über die Beweise meiner Ehrerbietung, die sie einfach hinnahm, weil es so der Wille des Vaters war, indem sie stets wiederholte: "Er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd, er hat die Demütigen erhöht!"
 
3. Um sie zu ehren, tat ich noch weit mehr. War es nicht aus Verehrung für meine Mutter, daß ich bei ihr eine Ausnahme machte vom Gesetz der Erbsünde, daß ich sie vor der Begierlichkeit bewahrte, sie mit so viel Schutz umgab, daß nie der leiseste Hauch der Sünde die Reinheit ihrer Seele berührte?
War es nicht ein Gefühl unendlicher Ehrfurcht, das mich bewog, die Unversehrtheit ihres Leibes bei meiner Empfängnis und meiner Geburt zu bewahren und ihren jungfräulichen Leib in den Himmel aufzunehmen, bevor die Verwesung im Grabe an ihr herantreten konnte?
War es nicht, um meine Mutter noch höher zu erheben, daß ich sie von ihrer unbefleckten Empfängnis an mit einer Überfülle von Gnaden ausstattete, die größer war als die aller Geschöpfe zusammen, daß ich sie teilnehmen ließ an meinem Erlösungswerk und sie zur Königin des Himmels und der Erde krönte?
Und sind denn jene Ehrenbezeigungen, welche die Kirche durch die gewichtige Stimme ihrer Hirten oder die des begeisterten Volkes Maria ohne Unterlaß vielfach dargebracht hat und in Zukunft in viel größerer Zahl darbringen wird, sind sie nicht, wie ich dir schon gesagt, eine teilweise Verwirklichung meines Verlangens, sie zu ehren?
 
4. "Siehe!" rief sie einst von meinem Geist beseelt aus: "Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter!" Ihre Weissagung muß in Erfüllung gehen. Auf der ganzen Erde muß der Name meines Vaters geheiligt und der Name meiner Mutter verherrlicht werden.
 
5. Um Maria so zu ehren, wie ich sie geehrt habe, und wie ich sie geehrt haben will, beginne damit, sie besser verstehen zu lernen!
Werde nicht müde, ihre Würde, ihre Vorzüge, ihre Vollkommenheit und ihre Sendung zu betrachten.
Dann verdemütige dich, werde dir deines Elends, deines Nichts bewußt. Je kleiner du dich machst, desto fähiger wirst du, die Größe meiner Mutter zu begreifen.
Lasse vor allem deine Gesinnungen den meinen gleich werden! Betrachte Maria mit meinen Augen, bewundere sie mit meinem Geiste und freue dich über ihre Schönheit mit meinem Herzen!
 
6. Ehre sie durch deinen Eifer bei der Teilnahme an öffentlichen Gebeten und Festen ihr zu Ehren!
Ehre sie durch gewisse Andachtsübungen, die du ihr täglich mit Beharrlichkeit darbringst, durch die Opfer, die du dir auferlegst, um ihre Verherrlichung zu fördern.
Ehre sie, indem du dich ihr vollkommen schenkst, für sie und unter ihrem Banner kämpfst. Wie? Sie wird es dir später offenbaren!
Ehre sie besonders durch dein Benehmen! Werde ein Heiliger und du wirst mehr zu ihrer Ehre beitragen, als wenn du gelehrte Werke über sie schreiben, dabei aber ein mittelmäßiger Christ bleiben würdest.
 
7. Ehre sie in meinem und in deinem Namen! 
Ehre sie auch für jene, die sie nicht ehren, für die Heiden, die sie nicht kennen; für die Irrgläubigen, die sie beleidigen; für die schlechten Christen, die aus Gleichgültigkeit nicht zu ihr beten, und für die ihr geweihten Seelen, die aber in ihrer Hingabe so nachlässig sind.
 
8. Ehre sie nach Kräften; denn sie steht über jedem Lob, und du kannst sie nie hinreichend ehren.
Ehre sie und fürchte keine Übertreibung! Nie wirst du sie in dem Grad verehren, wie ich sie ehre und will, daß man sie ehre!
 
Die Seele:
"Gepriesen sei der Name der Jungfrau Maria, von nun an bis in Ewigkeit!"
 
6.
Sei meiner Mutter ähnlich,
wie ich es bin.
Jesus:
1. Mein Bruder, die Kinder gleichen ihrer Mutter. Ich war meiner Mutter ähnlicher als je ein Menschenkind der seinen.
Aus ihr allein geboren, erinnerte mein ganzes Äußeres an meine heilige Mutter. Wer mich sah, erkannte in mir sofort den Sohn Mariens.
Mehr noch als unser Aussehen glichen einander unsere Seelen.
Mein Vater hatte Maria nach meinem Bilde formt, damit sie dann als wahre Mutter mich nach dem ihren forme. Und dadurch, daß sie mit beharrlichem Eifer mich beobachtete und in ihrer Seele alles erwog, was ich tat und sagte, gestaltete sie in ihrer Seele alle meine Gesinnungen in unvergleichlicher Vollkommenheit. Gerade darum hatten wir beide in allem die gleichen Gefühle und Gedanken, denselben Willen. Ihre Seele war in die meine übergeströmt und meine in die ihrige.
 
2. Bemühe dich, meiner Mutter ähnlich zu werden, wie ich es war!
Sei ihr gleich in deinem Äußeren durch deine Bescheidenheit. Bei deinem Anblick sollte man ein wenig von jener Ehrfurcht und Sammlung verspüren, die alle empfanden, die meine Mutter sahen.
 
3. Sei ihr ähnlich vor allem durch dein Inneres!
Ahme ihre Tugenden nach! Sie sind überaus erhaben und überaus einfach zugleich. Denn Mariens Leben glich sehr dem deinen, und es ist sehr leicht für dich, zu verstehen oder zu erraten, wie sie an deiner Stelle handelte oder gehandelt hätte.
Wie sie, mußt auch du zunächst die Tugenden an mir genau betrachten, dann sollst du deine Mutter ansehen, damit du weißt, wie sie diese verwirklicht hat. Von mir wirst du den Unterricht erhalten. Doch du wirst diesen Unterricht besser erfassen, wenn ihn dir meine Mutter erklärt.
 
4. Sei rein, damit du ein würdiges Kind der Jungfrau der Jungfrauen seiest!
Sei demütig und einfach; vergiß dich selbst, wie sich die Magd des Herrn vergaß!
Sei gesammelt in Gott und betrachte nach dem Beispiel meiner Mutter alles, was dir über mich geoffenbart worden ist!
Sei fest in deinem Glauben! Glaube den Worten des Herrn, wie sie geglaubt hat, wenn auch der Anschein für das Gegenteil spricht.
Sei allen Willensentscheidungen Gottes unterwürfig; nur ein Wort sei deine Antwort: "Siehe! ich bin der Sohn deiner Magd! Mir geschehe nach deinem Worte!"
Sei voll Liebe für deinen Nächsten, hingebungsvoll wie Maria bei Elisabeth, zu Kana und besonders auf Kalvaria.
Bemühe dich, von den Tugenden Mariens vor allem jene nachzuahmen, die dir am meisten fehlt, und deren du am dringendsten bedarfst.
 
5. Ahme nicht nur ihre Tugenden nach, sondern auch ihre Gesinnungen jenen Menschen gegenüber, die ihr am nächsten standen: Joachim und Anna, ihre innigstgeliebten Eltern, Johannes, mein Lieblingsjünger und Stellvertreter bei ihr, besonders Josef, ihr Bräutigam und mein jungfräulicher Vater, den sie mit unaussprechlicher Liebe, Verehrung und Dankbarkeit umgab für all das, was er für mich und für sie getan. Du wärest nicht in Wahrheit ihr Kind, wenn du nicht den, der ihr so teuer war, mit Eifer lieben und verehren würdest.
 
6. Ahme aber in erster Linie ihre Gesinnungen mir gegenüber nach!
Maria wurde einzig und allein für mich erschaffen; nur für mich hat sie geatmet, gearbeitet, gelitten.
Bei ihr wirst du lernen, nur für mich zu leben und dich vollständig für meine Sache zu opfern.
Schnell und auf vollkommene Weise wirst du das erlernen. Denn die Betrachtung der Gesinnungen meiner Mutter gegen mich wird eine einzigartige Macht der Anziehung und Umbildung ausüben, eine Macht, in der Kraft und Zartheit, Verständnis und Liebe und auch eine ganz besondere Gnade zusammenwirken.
An ihrer Seite wirst du kraft dieser Zuneigung, die zwischen Mutter und Kind herrscht, das erfahren, was sie an meiner Seite empfand.
Was Wunder, wenn du bei ihr leicht dahin gelangst, meine Gesinnungen anzunehmen?
 
7. Ihrem Beispiele folgend, wirst du auch zu inniger Vertrautheit mit meinem himmlischen Vater kommen, deren sie, die bevorzugte Tochter, sich seit ihrer unbefleckten Empfängnis erfreute; auch mit dem Heiligen Geist, der sie zu seiner unendlich geliebten Braut erwählt hatte.
 
8. Die Nachahmung meiner Mutter wird dir noch eine andere Gesinnung einflößen, die Gesinnung unermeßlicher Liebe für die Seelen. Davon wird sie selbst zu dir sprechen.
 
Die Seele:
O Jesus, mache mich deiner Mutter ähnlich, damit sie mich Dir ähnlich mache.
 
7.
Vertraue dich Maria an,
wie ich es tat.
Jesus:
1. Mein Bruder, jedes Kind vertraut sich seiner Mutter an. So habe auch ich mich der meinen anvertraut.
Ich vertraute mich ihr an in meinen materiellen Bedürfnissen.
Ich nähre die Vögel des Himmels und kleide in Herrlichkeit die Lilien des Feldes. Doch ich wollte die gleiche materielle Hilfe nötig haben, wie alle anderen Kinder. Ich vertraute mich meiner Mutter an; sie nährte, kleidete und umsorgte mich.
Mein Leben war bedroht. Ich fürchtete mich nicht; meine Mutter brachte mich in ein fremdes Land, während ich in ihren Armen friedlich schlief.
 
2. Ich vertraute mich meiner Mutter an bei der Erfüllung meiner Sendung.
Kaum empfangen, wollte ich schon meinen Vorläufer heiligen, mich den Juden und Heiden, dem greisen Simeon und der Prophetin Anna offenbaren; dabei verließ ich mich auf meine Mutter.
Um die Erbschuld zu sühnen, wollte ich, der neue Adam, Maria, die neue Eva, zur Mitarbeit im Wollen, Beten und Opfern heranziehen. Sie verstand mich vollkommen und gab großmütig ihre Zustimmung.
 
3. Ich vertraute mich ihr an in allen Mühsalen, die mir meine Sendung verursachte.
Meine Seele war überaus traurig. Traurig beim Anblick dieses ganz irdischen, oft heuchlerischen Kultes, den man meinem Vater darbrachte; traurig ob der Unwissenheit der Menge, ob des Widerstands und des Unglaubens meiner Feinde und der irdischen Gedanken und Wankelmütigkeit meiner Freunde; traurig vor allem, weil unzählige Seelen, unendlich teure Seelen verlorengehen, für die ich vergebens mein Blut vergießen sollte. Ich war traurig, traurig bis zum Tode, so traurig, daß ich meinen Vater anflehte, er möge diesen Kelch von mir nehmen.
Dennoch hatte ich einen großen Trost: meine Mutter! Sie verstand mich; sie wußte Gott anzubeten im Geist und in der Wahrheit; sie nahm teil an meinen Kränkungen und Bedrängnissen. Sie liebte mich um so mehr, je gehässiger ich von den Pharisäern angegriffen und je bitterer ich durch meine Jünger enttäuscht wurde. Sie wachte und betete mit mir während der ganzen Zeit meines verborgenen Lebens und während der ganzen Zeit meiner öffentlichen Tätigkeit. Sie stand am Fuß des Kreuzes, unerschütterlich, fest im Glauben, während alle anderen wankten. In ihr gelang mein Erlösungswerk vollkommen; sie war mein höchster Triumph.
 
4. Vertraue dich nach meinem Beispiel meiner Mutter an!
Hab Vertrauen! Ihre Macht ist unvorstellbar groß. Habe ich sie nicht zur Ausspenderin aller Gnaden erhoben? Kann sie nicht alles geben, was sie will, wem sie will und wann sie es will?
Gewiß kann sie es. Sie will ja niemals etwas, was nicht ganz mit Gottes Willen übereinstimmt.
Hab Vertrauen! Sie ist voll der Güte. Wenn ich ihr so viel Macht gab, konnte ich sie nicht auch unermeßlich gütig machen?
Hab Vertrauen! Ich bin ihr Kind. Was könnte ich meiner Mutter verweigern?
Hab Vertrauen! Du bist ihr Kind. Hat je eine Mutter ihrem Kinde verweigert, was sie ihm geben konnte?
Hab Vertrauen! Du hast dich ihr ganz geschenkt. Könnte sie weniger großmütig sein als du?
Hab Vertrauen! Denn, wenn sie dir etwas gibt, so schenkt sie es mir. Sie weiß ja, daß ich in dir lebe, und daß man alles, was man dem Geringsten meiner Brüder tut, mir tut. Sooft du sie anrufst, verschaffst du ihr die Freude, auch weiterhin für mich zu sorgen, mich zu nähren, zu tragen, mich Gefahren zu entreißen und meine Erziehung zu vollenden.
Hab Vertrauen! Ihr Wunsch, dir Gnaden zu schenken, ist größer als der deine, sie zu empfangen. Denn sie liebt dich mehr und liebt mich mehr in dir, als du dich selbst lieben kannst.
Hab Vertrauen! Du würdest ihr durch dein Zaudern wehe tun; denn zögern hieße zweifeln an der Liebe meiner Mutter zu dir und zu mir.
 
5. Und doch, warum ist dein Vertrauen nicht immer unerschütterlich fest?
Du sagst, du verdienst nicht, von Maria erhört zu werden wegen deiner Nachlässigkeit in der Hingabe an sie. Mag deine Feigheit noch so groß sein, sie wird niemals die Größe der Liebe deiner Mutter erreichen.
Du mußt Vertrauen haben, nicht weil du gut bist, sondern, weil sie es ist. Wird sie aufhören, gut zu sein, weil du schlecht bist?
 
6. Du weißt aber nicht, ob deine Bitte den Ratschlüssen Gottes über dich entspricht; deshalb zögerst du.
Höre! Ich will dich eine Art des Betens lehren, die stets die Absichten Gottes entspricht, und deren du dich immer mit unerschütterlichem Vertauen bedienen kannst.
Verstehe zunächst folgendes:
a) Bezüglich jedes deiner Bedürfnisse hat deine Mutter ihre liebevollen Absichten.
b) Ihre Absichten stimmen immer mit den Plänen Gottes überein und sind daher immer durchführbar.
c) Stets sind sie mehr wert als deine eigenen Absichten; denn Maria weiß besser als du selbst, was du brauchst. Sie hat mit mir viel Höheres vor, als du nur ahnen kannst.
Bitte also jedesmal Maria, wenn du einen Wunsch hast, sie möge ihre Absichten dabei verwirklichen, und sei versichert, daß du unbedingt das erhalten wirst, was du verlangst, oder etwas Besseres, und daß du nicht nach deinen kleinlichen Begriffen empfangen wirst, sondern nach ihrer unermeßlichen Liebe.
 
Die Seele:
O Jesus, wie herrlich wird das sein! Um einen Glauben zu erlangen, der Berge versetzt, und selbst über meine Erwartungen hinaus erhört zu werden, wird es genügen, in jeder Lage meine Mutter zu bitten, ihre Absichten für mich zu verwirklichen.
 
8.
Lebe wie ich
in Vereinigung mit Maria.
Jesus:
1. Mein Bruder, ich habe dir noch einen anderen sehr wesentlichen Zug meiner Kindesliebe zu Maria zu offenbaren: mein Leben in Vereinigung mit ihr.
Wenn es schon für jedes Kind nichts Schöneres gibt als immer bei seiner Mutter zu sein, wie groß waren dann erst meine Freuden im trauten Einssein mit Maria!
Freuden in jenen neun Monaten der unaussprechlichen Vereinigung, als ich ganz eins war mit meiner Mutter, und als sie, ein lebendiger Tabernakel, mich immer in sich trug. Denn im Gegensatz zu anderen Kindern kannte ich meine Mutter vom ersten Augenblick meines irdischen Daseins an, und sogleich begann zwischen ihr und mir ein ständiger Austausch von Gedanken und Liebe.
Freuden in jenen dreißig Jahren der Vertrautheit ohnegleichen: In Bethlehem, in Ägypten und Nazareth, als sie mich in ihren Armen trug, an ihrer Seite sah und sich mit mir durch Worte oder Blicke unterhielt. Dreißig Jahre lang allein mit ihr und Josef!
Freuden nicht minder tiefe, in den letzten drei Jahren meines Lebens, als ich inmitten von verständnislosen Volksmassen, schwerverstehenden Freunden und wütenden Feinden jener gedachte, die mich in ihrem Häuschen von Nazareth mit ihren Gedanken begleitete, mich verstand, mich liebte und dem Vater für das Gelingen meiner Sendung ununterbrochen Gebete und Opfer brachte.
 
2. Ich sollte noch andere Freuden kennenlernen: Freuden, die mir die Großmütigkeit meiner Apostel bereitete, der Glaube und die Anhänglichkeit einer großen Jüngerschar und der Blick in die Zukunft auf viele Seelen, auf ganz reine, einfache, ganz großherzige Seelen, die bis zum Ende der Zeiten an meine Liebe glauben und sich ganz und gar mir hingeben würden. Doch alle diese Freuden zusammengenommen reichen nicht an die geringste Freude heran, die ich in der Vereinigung mit meiner Mutter fand, in diesem Zusammenfließen unserer beiden Seelen in eine einzige.
 
3. Nun will ich, mein vielgeliebter Bruder, daß du an dieser Vereinigung teilhabest, um auch an dieser Freude teilnehmen zu können.
Du wirst darin nicht nur einen unermeßlichen Trost finden, sondern es wird dir zugleich auch äußerst leicht gelingen, alle anderen Bezeugungen der Kindesliebe zu üben, die ich dich gelehrt habe.
Bei Maria wirst du dich wie von selbst befleißigen, deine vollkommene Weihe an sie zu erneuern und in die Tat umzusetzen. Du wirst fühlen, wie deine Kindesliebe von Tag zu Tag zunimmt, wie leicht es ist, all ihrem Verlangen, ja selbst ihren leisesten Wünschen Folge zu leisten. Du wirst erraten, welche Verehrung ihr am meisten Freude bereitet. Du wirst dich ganz von selbst bemühen, ihre Tugenden und alle ihre Gesinnungen nachzuahmen. Du wirst in dir ein unwiderstehliches Vertrauen auf ihre mütterliche Güte empfinden.
Bei ihr wirst du eine Fülle von Dingen lernen, die ich dir nicht erklärt habe, weil dein Herz sie von selbst erraten wird.
 
4. Bemühe dich also, nach meinem Beispiel eine möglichst innige Vertrautheit mit meiner Mutter zu suchen.
Vereinige dich mit ihr im Gebet!
Erneuere täglich deine Weihe an Maria; sei treu im täglichen Rosenkranzgebet und verrichte jeden Tag all die Gebete, die du dir vorgenommen hast, ihr darzubringen. Erhebe öfters im Laufe des Tages deinen Blick zu ihr, die ständig auf ihr Kind schaut.
 
5. Wenn du aber zu ihr betest, denke daran, daß du dich in meinem Namen an sie wendest, daß ich es bin, der ich durch dich fortfahre, meine Mutter in Wort und Tat zu ehren und zu lieben.
 
6. Wenn du zum Vater oder zum Heiligen Geist oder zu mir sprechen willst, sollst du dich zuerst mit meiner Mutter vereinigen. Mit ihr vereint wird deine Sammlung tiefer sein, dein Glaube fester, dein Vertrauen unbegrenzter und deine Liebe glühender. Denn so werden sich den Gesinnungen deines armen Herzens all die vollkommenen Gesinnungen deiner Mutter anschließen.
 
7. Nimm besonders dann deine Zuflucht zu Maria, wenn du mich im Sakrament meiner Liebe empfängst. Bitte sie, daß sie dir ihren Glauben leihe, ihre Hoffnung, ihr Vertrauen, ihre Liebe. Bitte sie, daß sie mich dir reiche und dich in mich umwandle.
 
8. Vereinige dich mit ihr bei deiner Tätigkeit.
Ich arbeite mit meiner Mutter und für sie. Mache es auch so!
Opfere ihr jede deiner Beschäftigungen auf! Doch mache aus dieser Aufopferung keine leere Formel! Tue nur, was sie will, weil sie es will und wie sie es will.
Gib aber acht, daß dein Eigensinn, deine Neigungen und deine Interessen nicht deine anfängliche Meinung verdrängen! Trage besonders in jenen Beschäftigungen Sorge, die dich leicht völlig gefangennehmen oder zerstreuen, daß jede Selbstsucht ausgeschlossen bleibt! Handle nur nach den Absichten Mariens!
 
9. Vereinige dich mit ihr in allen Gefühlen deines Herzens!
Das Herz meiner Mutter und das meine sind aufeinander abgestimmt: Meine Freuden waren ihre Freuden, meine Hoffnungen ihre Hoffnungen, meine Sorgen ihre Sorgen, meine Liebe ihre Liebe!
Erzähle meiner Mutter von all dem, was dich verwirrt, was dich bewegt. Sie versteht, was in deinem tiefsten Herzen vor sich geht; sie versteht, was du selbst nicht verstehen kannst.
Bist du traurig? Erzähle ihr deinen Kummer! Sie wird dir helfen, ihn zu tragen, oder wird ihn in Freude verwandeln.
Bist du froh? Sag ihr dein Glück! Sie wird es vertiefen und läutern.
Bist du mutlos? Lege ihr deine Befürchtungen oder Mißerfolge vor! Sie wird dir den wahren Erfolg erlangen.
Ist dir ein Unternehmen gelungen? Geh und danke ihr und bitte sie, sie möge dir die Früchte sichern!
Weißt du in Schwierigkeiten nicht, wo aus, wo ein? Frage sie um Rat; sie wird dich erleuchten und führen.
Fühlst du dich kraft- und willenlos? Gehe zu ihr und schöpfe bei ihr neuen Mut.
 
10. Erzähle ihr nicht nur von deinen tiefsten Gefühlen, sondern auch von den einfachsten Eindrücken und Gedanken, die dir bei deiner gewöhnlichen Beschäftigung kommen! Pflegt das Kind nicht sich so seiner Mutter gegenüber zu benehmen? Glaubst du nicht, daß auch ich immer so tat, als ich an Mariens Seite lebte?
 
11. In diesen ständigen Beziehungen mit Maria brauchst du gar nicht viele Worte. Wie oft rufen die kleinen Kinder nur: "Mama!", wenn sie ihrer Mutter sagen wollen, was sie fühlen oder brauchen. Sie schauen ihre Mutter bloß an, und diese versteht ganz wunderbar, was sie sagen wollen. Wie keine andere wußte meine Mutter, was ich wollte, wenn ich ihren Namen aussprach und sie anblickte. Ihr Blick antwortete dem meinen.
Oh, welch unendliche Freude für sie und für mich!
Willst du Maria von deinen Nöten und von deinem Fühlen erzählen, sage ihr bloß: "Mutter!" und schau sie einen Augenblick an. In diesen Namen aber lege alles hinein, was du ihr gerade sagen willst: eine Beteuerung deiner Liebe, die Aufopferung deiner Arbeit, einen Angstschrei, einen Dank, deine Freude oder deine Trauer! Deine Mutter wird dich schon verstehen, und sie wird auf den Ruf ihres Kindes antworten, wie nur sie es kann.
Ich ließ dich nur einen kleinen Winkel von jenem Paradies sehen, das ein Marienkind in der Vereinigung mit seiner Mutter findet. Sie selbst wird dich in dieses Paradies hineinführen und dir das unaussprechlich Wunderbare dartun je nach dem Grad deiner Treue.
 
Die Seele:
O Jesus, gib, daß ich mich immer an deine Mutter halte, so wie Du ihr ständig ganz nahe warst. Gib, daß ich unter ihrem mütterlichen Blick lebe und ständig zu ihr aufschaue, um von ihr und durch sie getröstet, aufgemuntert, geleitet zu werden. Das soll mir wahrhaft der Himmel auf Erden sein. Laß mich immer in diesem Himmel leben!

Nach oben